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Feinfühligkeit in einer lauten Welt

HOCHSENSIBILITÄT

eine multimediale Website von Tina Bertschi

Diese multimediale Website zeigt einen umfassenden Einblick in das Thema Hochsensibilität. Begleitet wird die Reportage durch die persönlichen Geschichten von Nadia, Britta, Hugo und Natalia, welche alle vier hochsensibel sind, sowie durch wertvolle Inputs und Ratschläge von Jacky Steinacher, Coach für Hochsensibilität und selbst auch Betroffene.

 

Diese Lebensgeschichten zeigen, wie unterschiedlich sich dieses Phänomen auf das Leben der Betroffenen auswirkt und wie man damit umgehen kann.

An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass sich Hochsensibilität nicht bei jedem Menschen gleich äussert. Die in der Reportage beschriebenen Merkmale, Schwierigkeiten und Stärken basieren auf Erfahrungen, welche viele hochsensible Personen so erleben. Sie sind jedoch nicht allgemeingültig. Jeder Mensch ist einzigartig, und so auch die Art und Weise, wie Menschen ihre eigene Hochsensibilität wahrnehmen.

 

Ziel dieser Arbeit ist es, die Vielfalt der Hochsensibilität zu zeigen, über das Thema aufzuklären und hochsensiblen Menschen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind.

 

Nicht hochsensiblen Personen versuche ich durch Gedankenexperimente und die erzählten Lebensgeschichten einen Einblick in die Gefühlswelt hochsensibler Personen (HSP) zu geben.

DEFINITION

Hochsensibilität beschreibt ein Persönlichkeitsmerkmal, welches sich durch eine höhere Reizverarbeitungssensibilität („Sensory Processing Sensitivity“) sowie eine besonders differenzierte Informationsverarbeitung auszeichnet. 

Jeden Tag sind wir Menschen unzähligen Sinneseindrücken ausgesetzt, von welchen wir notwendigerweise nur einen Bruchteil wirklich wahrnehmen, da unser Gehirn bzw. die neuronalen Filter im Gehirn automatisch die für uns relevanten Reize ausfiltert und uns nur diese vergleichsweise kleine Anzahl an Reizen wahrnehmen lässt. Dies ist ein lebensnotwendiger Mechanismus, genannt selektive Wahrnehmung, welcher uns vor extremen Reizüberflutungen schützt.

Man stellt sich das so vor, dass die neuronalen Filter hochsensibler Personen mehr Reize als relevant einstufen, wodurch hochsensible Menschen viel mehr innere und äussere Reize aktiv wahrnehmen und diese intensiver fühlen.

Wahrnehmung nicht hochsensibler Personen

Wahrnehmung hochsensibler Personen

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Reiz

relevanter Reiz

Reiz

Reiz

Reiz

Reiz

Reiz

Reiz

relevanter Reiz

Reiz

relevanter Reiz

relevanter Reiz

Merkmale von Hochsensibilität

Elaine N. Aron, die Psychologin und Pionierin der Hochsensibilität, beschreibt die Hochsensibilität durch folgende vier Eigenschaften;

Synopsis

Abbildung 1: Reizfilter

Depth of Processing
(tiefe& gründliche Informationsverarbeitung)

Hochsensible Personen tendieren dazu, tiefer über Sinnesreize, Erlebnisse und Informationen nachzudenken. Viele hochsensible Menschen haben daher auch das Bedürfnis, alles gründlich abzuwägen, bevor sie Entscheidungen treffen. 

Overstimulation
(Überstimulation)

Durch die verstärkte Wahrnehmung der Innen- und Aussenwelt kann es bei hochsensiblen Personen schnell zu einer Überstimulation kommen.

Emotional Reactivity
&
Empathy

(Emotionale Intensität und Empathie)

Hochsensible Personen nehmen Emotionen stärker wahr und reagieren intensiver auf positive wie auch negative Geschehnisse in ihrem Leben. Dies führt oft zu, von aussen betrachtet, zu starken Reaktionen auf objektiv betrachtet weniger dramatische Ereignisse. 

 

Ausserdem verfügen sie über eine erhöhte Empathie, sie können sich gut in Menschen einfühlen, nehmen Stimmungen in einem Raum sehr differenziert wahr und können sich auch demgemäss verhalten.

Sensing the Subtle
(sensorische Empfindlichkeit)

Die sensorische Empfindlichkeit beschreibt die Fähigkeit, Sinnesreize wie Geräusche, Gerüche, optische Wahrnehmungen, taktile sowie innere Reize wahrzunehmen. Bei Personen mit Hochsensibilität ist diese Wahrnehmung erhöht.

Jacky Steinacher ist ganzheitlich psychologischer Coach, mit einer Fachausbildung für Hochsensibilität IFHS.

Hier erklärt sie, wie man sich die tiefe Informationsverarbeitung bei hochsensiblen Personen vorstellen kann:

MISSVERSTÄNDNISSE ÜBER HOCHSENSIBILITÄT

"Sensibelchen", "tu doch nicht so", "reiss dich zusammen" oder "das ist doch gar nicht so schlimm" sind nur einige Beispiele von Sätzen, mit denen hochsensible Personen häufig konfrontiert werden. Leider fehlt vielen Leuten noch das Verständnis für dieses Phänomen. Sie können sich nicht vorstellen, dass es tatsächlich Menschen gibt, welche ihre Umwelt intensiver wahrnehmen. Dadurch wird hochsensiblen Personen oft gesagt, sie reagieren zu stark auf Situationen, welche objektiv betrachtet nur halb so schlimm seien. Hochsensible Personen haben eine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit, wodurch stärkere Reaktionen auf Situationen hervorgerufen werden. Dies stellt jedoch keineswegs eine Form von Schwäche dar.

Hochsensibilität ist weder eine Krankheit noch ein Defizit, demnach muss sie auch nicht behandelt werden. Jedoch ist es für Betroffene wichtig, Strategien zu entwickeln, welche ihnen helfen, mit der Intensität ihrer Gefühle und Reaktionen umzugehen.

 

"Missverständnisse oder Vorurteile gibt es in der Gesellschaft zu diesem Thema vor allem in Bezug auf Belastbarkeit. Oft wird hochsensiblen Personen nachgesagt, sie seien zu wenig belastbar. Ich habe aber eher das Gefühl, dies ist ein Problem unserer Gesellschaft, weil wenn hochsensible Personen die richtige Umgebung haben, dann können sie Hochleistungen erbringen."

Jacky Steinacher betont auch die Rolle der Gesellschaft im Umgang mit Hochsensibilität:

auch Britta ist bereits auf Unverständnis gestossen:

Aufgrund seiner Hochsensibilität kann Hugo sich nicht in Räumen mit LED-Wänden aufhalten. Er bekommt dabei physische Symptome wie Druckgefühle am Kopf und muss den Raum schnell verlassen. Diese Tatsache führte zu einer Einschränkung, welche einige seiner Mitmenschen nicht verstehen konnten:

URSACHEN

Genetik

Elaine N. Aron geht davon aus, dass Hochsensibilität bzw. "sensory processing sensitivity" grundsätzlich von den Genen bestimmt wird und somit auch vererbbar ist. Es lassen sich schon bei Neugeborenen Unterschiede in ihrer Reaktion auf Reize feststellen. Beispielsweise wie schnell äussere Sinnesreize wie Lichter und Geräusche sie zum Weinen bringen.

Viele Expertinnen sehen die Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal, welches sowohl genetisch beeinflusst als auch durch Lebenserfahrungen geprägt wird. (vgl. Hartmann, 2022)

Eine Analyse des Dopaminsystems im Bezug auf Hochsensibilität

In einer Studie von Chunhui Chen und ihren Kollegen wurde untersucht, ob bestimmte Gene, welche mit dem Dopaminsystem (ein wichtiges System im Gehirn für Belohnung und Emotionen) zusammenhängen, die Entstehung von Hochsensibilität beeinflussen. Es wurden 10 spezielle genetische Varianten entdeckt, welche mit Hochsensibilität im Zusammenhang stehen. Besonders die Dopamin-Rezeptoren und Gene, die die Dopaminregulation beeinflussen, haben laut der Studie einen grossen Einfluss auf unsere Sensibilität, da diese Rezeptoren für die Verarbeitung von Belohnung und Motivation zuständig sind, was erklären könnte, weshalb HSP stärker auf positive sowie negative Situationen reagieren. Ausserdem zeigte die Studie, dass Umweltfaktoren neben den genetischen Einflüssen auch eine Rolle spielen, so trugen stressige Lebenssituationen zur Ausprägung von Hochsensibilität bei.

Unterschiede im Gehirn

Hochsensible Personen haben mehr aktive Spiegelneuronen.

Spiegelneuronen bilden eine bestimmte Gruppe von Nervenzellen im Gehirn, welche aktiviert werden, wenn wir Handlungen ausführen, beobachten oder darüber nachdenken. Mit Hilfe dieser Spiegelneuronen können wir eine Handlung beobachten und diese reproduzieren ("spiegeln"), um möglichst ähnliche Ergebnisse zu erreichen.

Spiegelneuronen werden häufig in Verbindung gebracht mit der Empathie-Fähigkeit eines Menschen, da vermutet wird, dass neben Handlungen auch Emotionen die Spiegelneuronen aktivieren. Demnach spiegeln diese Neuronen auch die beobachteten Gefühle unserer Mitmenschen, wodurch wir diese besser nachempfinden können. Wobei hier anzumerken ist, dass Spiegelneuronen hauptsächlich beim Beobachten und Reproduzieren von Handlungen von grosser Bedeutung sind und "für komplexere soziale Prozesse [sind] sie zumindest nicht allein verantwortlich." (Benz, 2022)

Untersuchung der Gehirnaktivität hochsensibler Personen

Die Studie "The Highly Sensitive Brain", welche unter der Leitung von Bianca P. Acevedo durchgeführt wurde, untersuchte, wie das Gehirn hochsensibler Personen auf Gefühle anderer reagiert. Hierfür wurde den Teilnehmenden Bilder von ihren Partnern sowie von fremden Personen mit positiven, negativen und neutralen Gesichtsausdrücken gezeigt. Dabei wurde die Hirnaktivität der Teilnehmenden mittels Magnetresonanztomographie aufgezeichnet. Vor Beginn wurde die Sensibilität der Teilnehmenden anhand der HSP-Skala von Elaine N. Aron gemessen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Personen mit hoher Sensibilität eine stärkere Gehirnaktivität in den Bereichen aufweisen, die mit Aufmerksamkeit, Empathie und Handlungsplanung zusammenhängen. Traurige Gesichter der Partner sowie von Fremden lösten bei HSP tendenziell mehr Aktivität der Spiegelneuronen aus, wobei starke Emotionen ihrer Partner auch eine erhöhte Aktivierung in Bereichen des Gehirns, welche mit Empathie zu tun haben, auslösten.

HOCHSENSIBILITÄT IM
ALLTAG

Täglich sind wir Menschen unzähligen Reizen ausgesetzt; seien es die Geräusche des Strassenlärms, die laute Musik in unserem Lieblingscafé, Gerüche, Stimmungen oder aber auch unsere eigenen Gefühle. 

Wie wir nun bereits wissen, nehmen hochsensible Menschen all diese Reize noch viel stärker wahr. In einigen Fällen ist diese Fähigkeit eine grosse Bereicherung, jedoch können diese vielen Reize auch schnell zu einer Überstimulation führen, welche viele hochsensible Personen täglich begleitet. 

Diese Reizüberflutung äussert sich in Stress, Erschöpfung, bis hin zu körperlichen Symptomen wie beispielsweise Kopfschmerzen.

Hochsensible Menschen neigen dann dazu, sich vermehrt zurückzuziehen und diese Situationen zu meiden, was jedoch auch eine Gefahr darstellt, da dieser Rückzug oft auch weitere psychische Herausforderungen wie Einsamkeit mit sich ziehen kann. 

 

Der Alltag mit Hochsensibilität kann demnach sehr belastend sein, jedoch bringt Hochsensibilität auch viele Stärken mit sich, welche wir später noch kennenlernen werden.

Gedankenexperiment

Ich möchte Sie nun gerne auf eine kleine Reise durch den Alltag einer hochsensiblen Person mitnehmen.

Stellen Sie sich vor, sie gehen in ein Restaurant, schauen Sie sich nun den Grundriss dieses Restaurants an und überlegen Sie sich, wo Sie sich am liebsten hinsetzten würden.

Dann klicken Sie durch die verschiedenen Situationen durch sehen, was vielen hochsensiblen Personen in diesen Situationen durch den Kopf geht. (Bei der mobile Version müssen Sie für den Text auf das Bild klicken)

auch Britta kennt diese Situation nur all zu gut:

für Hugo sind es andere Situationen, welche ihm aufgrund seiner Hochsensibilität Mühe bereiten:

Reizüberflutung

Das Wort Reizüberflutung wurde nun schon oft erwähnt. Aber was genau kann man sich eigentlich darunter vorstellen? 

Folgendes Video zeigt ein mögliches Szenario:

Videoaufnahme 1: Reizüberflutung

Für Nadia ist ihre Hochsensibilität vor allem dann belastend, wenn ihr Energielevel tief ist und die Hochsensibilität dann noch obendrauf kommt.

Nadia spricht ein weiteres sehr wichtiges Thema an, nämlich die Bedeutung von Pausen für hochsensible Personen. Durch die offenen Reizsysteme stauen sich im Laufe des Tages immer mehr Reize auf, welche noch nicht verarbeitet werden konnten. Es kommen ausserdem laufend neue dazu. Um diese angestauten Reize zu verarbeiten und zur Ruhe zu kommen, brauchen hochsensible Personen mehr Pausen. In gewissen Lebenssituationen wie beispielsweise im Berufsleben kann dies jedoch eine Herausforderung darstellen. Wie Hochsensibilität sich auf den Beruf auswirkt, ist die nächste Frage, welcher wir zusammen nachgehen werden.

Hochsensibilität im Beruf

Laute und hektische Arbeitsbedingungen führen bei hochsensiblen Personen schnell zur Überforderung. Erhöhter Stress stellt für vielen hochsensiblen Personen eine grosse Herausforderung dar. Am Arbeitsplatz bereitet es ihnen somit Schwierigkeiten, mit Überstimulation, Leistungsdruck und langen Arbeitsstunden ohne Pausen umzugehen. 

Die heutige Gesellschaft ist stark auf Leistung fokussiert, wobei die Bedürfnisse hochsensibler Personen oft untergehen.

Natalia unterstreicht Jackys Erklärung durch ihre eigenen Erfahrungen im Berufsalltag:

Im richtigen Beruf mit den passenden Bedingungen können hochsensible Personen ihre Ressourcen und Fähigkeiten unglaublich gut nutzen und sind so auch unheimlich wichtig für die ganze Gesellschaft.

Nadia und Hugo sehen ihre Hochsensibilität als grosse Bereicherung in ihrem Beruf

Hochsensibilität in Beziehungen

Beziehungen mit HSP bewegen sich oft zwischen tiefer emotionaler Verbundenheit und fragiler Verletzlichkeit. Die Fähigkeit, sein Gegenüber auf tieferen Ebenen zu verstehen und sich in die andere Person hineinzuversetzen, ermöglicht eine tiefe Beziehung. Durch ihre erhöhte Wahrnehmung nehmen HSP kleine Details im Verhalten ihres Gegenüber wahr und können diese so besser verstehen. Durch ihr Einfühlungsvermögen gelingt es ihnen, zwischen den Zeilen zu lesen und sie können so eine grosse Hilfe bei der Bewältigung von Problemen sein.

Ein Spaziergang um einen kleinen See, die Sonne scheint auf das Wasser und lässt ein wunderschönes Lichtspiel entstehen. Es ist Frühling, die Wiesen leuchten in unzähligen Farben und es duftet nach einem Meer von Blumen. Hochsensible Personen nehmen auch solche schönen Momente verstärkt wahr, sie werden oft als überwältigend schön und tief berührend erlebt. Diese Wahrnehmung wirkt sich auch auf eine Beziehung aus, die Euphorie und tiefe Freude, die hochsensible Personen für Kleinigkeiten empfinden können, wirkt ansteckend und verbreitet gute Laune.

 

Alles Schöne hat jedoch auch eine Kehrseite, denn auch die weniger angenehmen Momente, wie Lärm, Stress und Emotionen wie Trauer oder Wut, nehmen hochsensible Personen verstärkt wahr und wenn das alles zu viel ist, kommt es oft zu einer Art Zusammenbruch, Betroffene ziehen sich zurück und brauchen Ruhe. Bei ihren Mitmenschen löst dieses Verhalten Unverständnis und Hilflosigkeit aus. Sie können nur schwer nachvollziehen, was an der Situation gerade so schwierig war, sie fühlen sich allein gelassen und finden vorerst keinen Zugang zur hochsensiblen Person, da diese sich zurückgezogen hat.

​​

Gedankenexperiment

VERSAND

Gemütlicher Winter
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Stellen Sie sich nun folgende Situation vor.

Es ist Sonntagabend, ein verregneter Herbsttag, ich der Wohnung ist es eher kühl und Sie kochen einen wärmenden Tee auf. Ihre/n Partner/in fragen Sie nun: "In welcher Tasse hättest du gerne deinen Tee?". Ihr Gegenüber antwortet beiläufig und zeigt auf irgendeine Tasse im Schrank: "Gerne diese hier, vielen Dank."  

Sie nehmen die gewünschte Tasse aus dem Schrank und sind dabei, Tee einzugiessen, als Sie von Ihren immer lauter werdenden Gedanken unterbrochen werden. Ein gewisses Gefühl kommt in Ihnen auf und verbreitet sich durch Ihren ganzen Körper, das Gedankenkarussell beginnt sich zu drehen. Weshalb wollte er denn nun genau diese Tasse, mag er die anderen, welche ich gekauft habe, etwa nicht? Weshalb hat er nie was gesagt? Was, wenn ihm auch das ganze andere Geschirr nicht gefällt, vielleicht mag er meinen Geschmack gar nicht?​

In Ihnen wächst diese innere Unruhe und nun dauert es nicht mehr lange, bis aus einem noch so harmlosen Kommentar ein Konflikt wird.

 

Dieses Beispiel zeigt, dass viele hochsensible Personen dazu tendieren, alles genaustens zu analysieren und zu überdenken. Jeder Kommentar, der noch so nett gemeint war, kann bei einer hochsensiblen Person eine starke Reaktion hervorrufen und so zu Missverständnissen oder Konflikten führen.

Abbildung 2: Tasse

Abgrenzung

Die erhöhte emotionale Empathiefähigkeit, die hochsensible Personen spüren lässt, was andere fühlen, macht es schwierig, sich emotional von anderen abzugrenzen. (vgl. Harke, 2024) Hochsensible Personen nehmen die Auswirkungen ihrer Handlungen auf die Emotionen des Gegenübers intensiv wahr. So kann es schwierig sein, Nein zu sagen oder andere Personen zu kritisieren, da diese Ablehnung bei vielen Menschen Gefühle wie Wut, Trauer oder Enttäuschung auslöst. Diese Emotionen bleiben dann jedoch nicht bei diesen Menschen, sondern werden von hochsensiblen Personen wieder aufgenommen. Somit führt Kritik oder Ablehnung anderer Menschen indirekt auch zum Leid der hochsensiblen Person.

Grenzen setzen

Das Spüren und Setzen der eigenen Grenzen kann für viele hochsensible Personen eine grosse Herausforderung darstellen, wenn die Emotionen anderer im eigenen Leben so viel Raum einnehmen, dass sie die eigenen zu überschatten scheinen.

 

Das Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse ist unter anderem beim Thema Sexualität sehr wichtig. Natalia hilft es, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um die eigenen Gefühle wahrzunehmen und dann daraus Grenzen zu setzen.

Starke Emotionalität 

Ein trauriger oder gruseliger Film, eine schlechte Nachricht einer Freundin, ein lautes Geräusch oder eine stressige Situation können bei einer hochsensiblen Person Gefühle auslösen, die sich wie das Ende der Welt anfühlen. Dementsprechend stark können auch die Reaktionen auf diese Gefühle ausfallen. 

Alltagsthemen, Filme oder Erlebnisse können hochsensible Personen viel mehr mitnehmen. Vielfach beginnt dann auch hier wieder ein Gedankenkreisen, wie wir es bereits im Gedankenexperiment mit den Tassen gesehen haben. Diese Eigenschaft des Grübelns zieht sich bei Hochsensibilität wie ein roter Faden durch viele Herausforderungen und schlägt oft zusätzlich auf die Stimmung. So können "Kleinigkeiten" einen urplötzlichen Stimmungswechsel hervorrufen. Mit diesen umzugehen kann für die Mitmenschen eine grosse Herausforderung darstellen, da die Ursache dieser starken Emotionalität bei ihnen selbst eine nicht mal halb so heftige Reaktion auslösen würde. Das Unverständnis ist gross, wodurch die hochsensible Person sich nicht gesehen und falsch fühlt, während sich bei der anderen Person eine Handlungsunfähigkeit breit macht. So tendieren Konflikte dazu, emotional zu eskalieren, was beiden Betroffenen nicht guttut.

Kommunikation und gegenseitiges Verständnis sind hier von zentraler Bedeutung, um die Sichtweise des Gegenübers zu verstehen und auch daraus lernen zu können. Es ist völlig normal, dass jeder Mensch aufgrund seiner persönlichen Geschichte und seiner Sensibilität anders auf Situationen reagiert. Gelingt es uns, diese Unterschiede zu akzeptieren und nicht zu verurteilen, können Konflikte an ihrem Ursprung erkannt und der Teufelskreis durchbrochen werden.

Rückzug und Isolation

Hochsensible Menschen ziehen sich vermehrt zurück, einerseits aus Bedürfnis nach Ruhe, andererseits aus Scham über ihre starken Gefühle, welche zudem bei vielen auf Unverständnis stossen. Das Gegenüber nicht belasten zu wollen, verstärkt diesen Rückzug zusätzlich. Für den/die Partner/in ist es eine Herausforderung, mit diesem meist unbegründeten Rückzug umzugehen. Sie möchten für ihre Liebsten "da sein", doch finden den Zugang nicht. Dies kann frustrierend sein und hinterlässt ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ablehnung.

Rücksichtnahme

In einer Beziehung mit einer hochsensiblen Person braucht es viel Geduld und Rücksichtnahme. Gerüche oder Geräusche können dazu führen, dass sich hochsensible Personen unwohl fühlen, was bedeuten kann, im Zug den Platz wechseln zu müssen, von einer Geburtstagsfeier schon früh wieder nach Hause zu gehen oder gewisse Situationen vollständig zu meiden.

Folgendes Gedankenexperiment soll veranschaulichen, wie eine solche Rücksichtnahme aussehen kann.

Gedankenexperiment

VERSAND

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Bildschirmfoto 2024-10-12 um 13.06.13.png

500 Meter zu weit
 

Es ist Montag und wieder steht der Wocheneinkauf an. Die Uhr zeigt 17.30 Uhr an, Feierabend. Dementsprechend viele Leute sind auf den Strassen nahe dem Bahnhof der Stadt. Der Weg zum Supermarkt ist nicht weit, knapp 500 Meter.

Links der Bahnhof, quietschende Züge und laute Durchsagen. Ihnen entgegen kommen all die Menschen, die zum Bahnhof müssen. Nach einigen Schritten vorwärts, beginnt Ihr Kopf zu dröhnen, rechts von Ihnen eine Baustelle, das schreckliche Geräusch eines Presslufthammers kombiniert mit dem ohrenbetäubenden Pfeifen einer Kreissäge. 

"Einfach schnell weg von hier", denken Sie sich. Sie laufen los, ihr/e Partner/in haben sie nicht informiert, es war alles zu laut und zu viel. Sie wollten nur so schnell wie möglich weg. Auf Ihre/n Partner/in wirkt dies vorerst wie eine Flucht vor ihm/ihr, noch verwirrt davon, was gerade passiert ist. Endlich weg vom Lärm bricht nun alles über Ihnen zusammen. Diese 500 Meter waren unfassbar anstrengend, ihre Gefühle können Sie nicht in Worte fassen. Ihr/e Partner/in, soeben auch bei Ihnen angekommen, versteht nicht, was das Problem ist, schliesslich sei der Lärm nun vorbei. Doch in Ihnen ist alles noch ganz laut, ganz stressig und so unglaublich überreizt.

Sie setzten sich auf eine Bank und brauchen eine Pause. Der Einkauf muss warten oder ihr/e Partner/in erledigt ihn allein.

 

Planänderungen sind oft Teil des Lebens. Bei hochsensiblen Personen braucht es wenig, bis alles zu viel wird. In einem solchen Zustand fallen dann oft geplante Vorhaben oder freudige Stimmungen ins Wasser. 

Abbildung 3: Baustelle

Damit Sie sich noch besser in die beschriebene Situation hineinversetzen können, wird die Szene durch ein Hintergrundbild veranschaulicht, das beim Überfahren mit der Maus sichtbar wird. Ergänzend dazu machen die folgenden Audioaufnahmen die Situation noch greifbarer. 

00:00 / 00:14
00:00 / 00:11

Aufnahme 2: Kreissäge

Aufnahme 1: Geräuschkulisse

 

Über die Chancen und die schönen Seiten von Hochsensibilität in zwischenmenschlichen Beziehungen erzählt uns Natalia nun mehr:

Trotz der vielen Herausforderungen, kann Hochsensibilität wie bereits erwähnt, zwischenmenschliche Beziehungen auch bereichern. 

HOCHSENSIBILITÄT BEI
KINDERN

Anzeichen

Diese Anzeichen können als Anhaltspunkte dienen und somit hilfreich sein, falls der Verdacht aufkommen mag, dass ein Kind hochsensibel sein könnte. Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass einige der Merkmale auch Überschneidungen mit Merkmalen gewisser psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise AD(H)S oder Autismus aufzeigen. Dies sind diagnostizierbare Erkrankungen und benötigen eine Abklärung. Ausserdem sind sie anders zu behandeln als Hochsensibilität. Bei psychischen Erkrankungen ist es wichtig, sich professionelle Hilfe von Psycholog*innen zu holen. 

 

Merkmale:

Upset autistic little boy covering his ears and feeling distressed and overwhelmed by the

einige hochsensible Kinder spüren beispielsweise die Beschaffenheit unterschiedlichster Materialien viel differenzierter, was schnell auch zu Überreaktionen führen kann

erhöhte Sinneswahrnehmung

Veränderung

Hochsensible Kinder brauchen oft eine gewisse Routine. Bereits kleine Abweichungen dieser Routine können sehr schwierig sein.

Schwierigkeiten mit Veränderungen

Kinder laufen

Bevor sie sich in eine Gruppe einbringen oder etwas Neues ausprobieren, verhalten sie sich meist zuerst beobachtend und zurückhaltend

abwartend und zurückhaltend

Happy childhood. Close-up of a funny little girl, stained with colorful paints and with br

Hochsensible Kinder haben eine blühende Fantasie und sind meist sehr kreativ.

grosse Fantasie

Divorce And Domestic Violence. Portrait of upset African American daughter looking through

Der Umgang mit Grobheiten, Ungerechtigkeit oder Kritik stellt meist eine Herausforderung für hochsensible Kinder dar.

Empfindlichkeit auf Grobheiten oder Kritik

Morning Routine Checklist, School timetable. Top view flat lay concept. Lettering written

Sicherheit und Routine sind für hochsensible Kinder sehr wichtig.

starkes Sicherheitsbedürfnis

Close up lonely little girl hugging toy, looking out window, standing at home alone, upset

Hochsensible Kinder bekommen früh zu spüren, dass sie anders sind als die meisten ihrer Freunde. 

geringes Selbstwertgefühl

The child was scared before going to bed. Night terrors in a child. The kid covers his fac

Sie machen sich oft schon früh Gedanken über tiefgründige Fragen und erleben auch ihre Innenwelt sehr intensiv.

intensives Gefühlsleben

Umgang

Im Umgang mit hochsensiblen Kindern steht vor allem ein guter Austausch zwischen den Eltern und der Schule/Kindergarten im Fokus, ausserdem ist es von zentraler Bedeutung, die Bedürfnisse des Kindes ernst zu nehmen und zu versuchen mit kleinen Optimierungen im Alltag das Kind zu unterstützen.

Abbildungen 4-11: Hochsensibilität bei Kindern

Konkretere Vorschläge zur Unterstützung hochsensibler Kinder hat mir Jacky im Interview aufgezeigt.

Risiken

Hochsensible Kinder nehmen die Gefühle ihres Umfeldes verstärkt wahr, was auch eine Gefahr darstellen kann. Geht es den Eltern emotional schlecht, können hochsensible Kinder die Bedürfnisse der Eltern wahrnehmen und sich ihnen so stark anpassen, dass sie in die Rolle der Eltern schlüpfen und beginnen, Verantwortung für ihre eigenen Eltern zu übernehmen. Es kommt somit zu einem Rollentausch zwischen Eltern und Kind. Dieses Phänomen wird als Parentifizierung bezeichnet.

Ich möchte an dieser Stelle gerne auf meine Begleitschrift verweisen, in welcher ich mich vertieft mit dem Thema der Parentifizierung im Zusammenhang mit Hochsensibilität auseinandergesetzt habe. 

UMGANG
MIT HOCHSENSIBILITÄT

Durch die verschiedenen Einblicke in das Leben hochsensibler Personen zeichnet sich immer mehr ein facettenreiches Bild der Hochsensibilität ab. Hochsensibilität ist ein Merkmal mit bemerkenswerten Stärken, aber auch mit erheblichen Schwierigkeiten, welche hochsensible Personen tagtäglich bewältigen müssen. 

Es ist essenziell, einen Umgang mit der Hochsensibilität zu finden, denn ohne Bewältigungsmechanismen und Strategien laufen HSP immer wieder Gefahr, unter Stress, Erschöpfung oder Überreizung zu leiden.

Diese Dauerbelastung aufgrund fehlender Balance zwischen Überreizung und Erholung führt zu einem erhöhten Risiko für "Stresserkrankungen" wie beispielsweise ein Burnout. 

"Hochsensible Personen sind ganz klar gefährdeter für psychische Erkrankungen wie beispielsweise ein Burnout, da sie durch ihre ständige Anpassung oft überreizt sind und Mühe haben mit der Abgrenzung oder ein geringeres Selbstwertgefühl haben, durch all das laufen sie ständig am Limit oder gehen eben auch darüber hinaus und das sind dann Voraussetzungen für ein Burnout oder andere psychische Erkrankungen."

-- Jacky Steinacher --

Nadia hat durch ihre Erfahrungen gelernt, wie wichtig ein Umgang mit der eigenen Hochsensibilität ist.

Ein zentraler Punkt im Umgang mit Hochsensibilität stellt die Selbstakzeptanz dar. Durch das Erkennen der eigenen Stärken kann man daran arbeiten, die Hochsensibilität immer mehr als besondere Gabe statt als Defizit zu sehen. Denn Stärken gibt es reichlich viele!

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Fantasie

Durch ihre reichhaltige innere Welt und ihre Liebe zum Detail sind viele hochsensible Personen kreativ begabt und haben eine blühende Fantasie.

Empathie

Ihre ausgeprägte Empathie ermöglicht es ihnen, sich in andere hineinzuversetzen, ihnen zu helfen und für sie da zu sein.

Intensität

Die Intensität der Sinnesreize lässt Hochsensible Personen leckeres Essen, malerische Landschaften oder Musik auf einer viel tieferen Ebene wahrnehmen.

Harmonie

Durch ihr Streben nach Harmonie und ihren starken Gerechtigkeitssinn sind hochsensible Personen gute Streitschlichter und Vermittler. In einer Welt, die leider zunehmend von Gewalt und Ungerechtigkeiten geprägt ist, stellt diese Fähigkeit eine bedeutungsvolle Gabe dar. 

Es gibt unglaublich viele weitere Stärken, wobei jeder Mensch seine eigenen Stärken besitzt. Dieser Prozess der Selbstreflexion und Selbstliebe, das heisst sich aktiv über seine eigenen Stärken bewusst zu werden, diese zu schätzen und sie in den Vordergrund zu stellen, ist bereits ein wichtiger Punkt im Umgang mit Hochsensibilität.

Es ist wichtig, durch intensive Selbstreflexion seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und Grenzen zu setzen. Diese Grenzen verhindern Überlastung oder Überreizbarkeit. 

Neben diesen Ansätzen, welche eher durch eine Änderung der mentalen Einstellung und des Selbstbilds erreicht werden können und somit übrigens auch Prozesse von mehreren Monaten oder Jahren sind, gibt es auch sehr viele Strategien, welche hochsensiblen Personen in akuten Belastungssituationen helfen können.

Einige dieser Strategien werden nun vorgestellt:

Unsere Gesellschaft ist noch immer stark von Geschlechterrollen geprägt. Wie Hugo als Mann seine Hochsensibilität akzeptiert und damit umgeht, erzählt er hier: 

Den Umgang mit Hochsensibilität betrifft nicht nur die betroffene Person selbst, sondern auch ihr Umfeld. 

Ich habe nachgefragt, was sich HSP von ihrem Umfeld wünschen würden:

Ich finde es am wichtigsten, dass man miteinander redet, dass man sich austauscht und darüber spricht, wenn man etwas empfindet oder eine Situation wahrnimmt und auch was diese bei mir auslöst, und zwar gegenseitig.

Es kann überraschend sein für ein NHSP zu erfahren, dass laute Geräusche bei hochsensiblen Personen Schmerzen verursachen können, und umgekehrt kann eine HSP nicht nachvollziehen, dass eine Aussage, die sie selbst berührt hat, diese Person gar nicht gross beschäftigt.

-- Jacky Steinacher --

AKTUELLER FORSCHUNGSSTAND

Es gibt noch einen sehr grossen Forschungsbedarf, da viele der bisher durchgeführten Studien von der Pionierin Elaine N. Aron selbst stammen. 

Ich möchte gerne noch anmerken, dass es neben Vertretern auch einige kritische Stimmen aus der Wissenschaft zum Thema Hochsensibilität gibt. Einige Fachleuten sehen in diesem Merkmal mehrere Charaktereigenschaften vereint und halten es für eine Spielart des Neurotizismus (Hartmann C., 2022)

Neurotizismus

Ein sehr bedeutendes Modell der Persönlichkeitspsychologie stellt das Big-Five-Modell dar. Dieses Modell besteht aus fünf Faktoren, mit welchen der Charakter eines Menschen beschrieben werden kann. Zu diesen Faktoren zählen Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. 

Neurotizismus bedeutet emotionale Labilität und Verletzlichkeit. Menschen mit einer hohen Ausprägung dieses Merkmals sind emotional weniger stabil, reagieren stärker auf Stress und andere Belastungen und neigen dadurch eher zu Depressionen oder Angststörungen.

Grundsätzlich kann man sagen, dass, obwohl das Konzept der Hochsensibilität umstritten ist, die menschliche Wahrnehmung ein breites Spektrum ist. Es gibt Menschen, welche Reize verstärkt wahrnehmen, schneller reizüberflutet sind und somit auch einer hohen mentalen Belastung ausgesetzt sein können.

Das Konzept der Hochsensibilität gibt dieser bereichernden, jedoch auch belastenden Eigenschaft der erhöhten Reizwahrnehmung erstmals einen Namen und hilft Betroffenen besser damit umzugehen, ihre eigenen Grenzen kennenzulernen und zu sehen, dass sie damit keineswegs allein sind.

HOCHSENSIBILITÄTS-
TEST

Das Quiz besteht aus Fragen einer Übersetzung des HSP-Tests von Elaine N. Aron 
https://www.high-sensitivity.de/test-bin-ich-hochsensibel/. 

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